Alle die schon einmal in einem Retreathaus waren, kennen sicherlich die Vereinbarung „Mitarbeit im Haus“. In den meisten Häusern, die ich kenne, beträgt das eine Stunde am Tag. Während des Aufenthaltes dort, vollbringt man jeden Tag die gleiche Tätigkeit, zur gleichen Zeit, mit den unterschiedlichsten Gedanken und Erlebnissen dabei.

Hier ein kleiner Auszug.

Mittwoch, der 05.04.2017, 08:38 Uhr, Seminarhaus Engl

Der Gong ertönt!

Mitarbeit im Haus ist angesagt. Mein erster Gedanke: „Oh, das ist aber früh!“ Mein zweiter Gedanke: „Vielleicht geht ja meine Uhr falsch?“

Uhrenvergleich unten…..nein, meine Uhr geht nicht falsch. Okay, früher anfangen, früher fertig sein (was natürlich ein Trugschluß ist).

Mir kommen die Frauen in den Sinn, die im Garten helfen. Für das Ende der Mitarbeit sind sie auf den Gong angewiesen, hoffentlich ertönt er da auch ein wenig früher!

Heute putze ich den dritten Tag die Toiletten im Erdgeschoß und den Eingangsbereich. Am ersten Tag stand ich vor diesem Schuhregal und dachte: „Ich brauche ein Konzept, einen Plan!“ Das war relativ schnell durchdacht. Heute am dritten Tag, wurde dieses Konzept ins Wanken gebracht! Ich habe immer mit den Toiletten begonnen, die waren aber heute besetzt! (Hat das was mit dem Gong zu tun???) Ich musste umplanen, neu strukturieren und hoffte, dass am nächsten Tag mein Konzept wieder funktioniert würde.

Also, erst die Schuhe ins Regal und alle Zeitungen weg. Das mit den Zeitungen ist echt cool! Ich sortiere sie weg und mein Blick fällt auf ein Bild, was mich sofort an etwas erinnert. Diese Zeitungsseite wandert direkt in meinen Schuh. Während ich die Schuhe ins Regal stelle, ertappe ich mich dabei, wie ich die Schnürsenkel alle nach innen lege. Es regt sich die leise Frage in mir, ob das schon als Macke durchgeht? 😕

Endlich, die Toiletten sind frei. Ich fange an zu putzen….und schon steht eine Frau vor mir, mit etwas zerknirschtem Gesicht, als erwarte sie von mir die Absolution, diesen Ort nutzen zu dürfen. Ich erteile sie ihr, zerknirscht, milde lächelnd, gehe nach draußen und suche noch ein paar Dinge zusammen, um ihr den Raum zu geben, sich zu öffnen.

Während ich dann irgendwann weiter putze, taucht in mir immer wieder „Kanzeon“ auf. Kanzeon, Kanzeon, Kanzeon, Kanzeon……Gebetsmühlenartig. ich muss dringend fragen, was das nochmal bedeutet und tue das mit sofortiger Gelegenheit (natürlich flüsternd, ich bin ja im Schweigeretreat) und erhalte auch prompt (flüsternd) die Antwort. Ah, das hat was mit Mitgefühl zu tun. Ich finde, das passt, bei dem Job!

Ich erinnere mich an mein erstes Retreat hier. Da stand nach dem Putzen immer einer Schrubber quer in der Badtür und es tauchte die Frage auf, ob das ernst gemeint sei. Heute weiß ich: JA! das war ernst gemeint!

Endspurt: der Eingangsbereich wird von mir gekehrt und gewischt. Wahrscheinlich sollte das tröstend sein, als eine Tara-Frau mir zuflüsterte „Ich hab das auch schon gemacht. Hab immer nur gewischt, wenn es nötig war.“ Ich, mich am Schrubber festhaltend, lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und flüstere zurück: „Es ist nötig!“ Flüsternde Antwort „Stimmt!“.

Was während des Wischens passiert, wenn Frauen „passieren“ wollen, ist total spannend. Mit täglicher Zuverlässigkeit kommt eine Frau und spricht leise „Mein Job ist es, zu stören!“ Ich denke „so sei es“ und antworte ebenso leise, am Boden knieend und ihr ihre geblümten Pantoffelchen reichend „bitte mehr davon“ Andere Frauen stehen etwas verstört im Türrahmen, als schienen sie zu überlegen, wie sie an das andere Ende des Raumes gelangen könnten ohne das Bild der gleichmäßig nassen Oberfläche zu zerstören. Andere Frauen lassen ganz abenteuerliche Gangarten entstehen. Manchmal habe ich den Eindruck, verständnisvolle und anerkennende Blicke zu erhalten. Bin mir aber nicht sicher, ob diese meinem Tun gelten, oder damit um Erlaubnis gebeten wird, zu schreiten, zu hüpfen, zu schleichen, zu levitieren…. Vielleicht ja auch beides?

Ich putze weiter. Von links nach rechts…Kanzeon, von rechts nach links….Kanzeon.

„Die Leidenschaften sind unerschöpflich, ich gelobe sie alle zu überwinden“, „Kanzeon, Kanzeon, Kanzeon“ „Nichts ist von Dauer“….Auch nicht mein Putzen
„Mit Körper, Rede und Geist verneige ich mich in Demut“ und entleere meinen Putzeimer.

15 Minuten später, der Gong ertönt zum Vortrag.

Ich betrete als Vorbereitung dazu, noch einmal die von mir geputzte Toilette und muss feststellen: alles nass! Mein erster Gedanke „ist die jetzt auch defekt?“ Eine hatte ich schon auf Grund von „nicht ganz dicht“ erfolgreich schließen lassen und somit mein Arbeitspensum etwas reduziert. Aber, ich komme zu der Einsicht, dass das auch durchaus die Folgen des Leerens eines Eimers sein können „Form ist Leere und Leere ist Form“. Nennt man das Erkenntnisprozess? Ich fange an zu putzen.

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